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Mit dir will ich ein Liebespaar sein

 

 

 

Mein alter Köter, der nur noch auf den Teppich im Wohnzimmer scheißt, ist klüger als du und jetzt geh die Hühner füttern, sagte er. Und der andere Mann, der noch ein Gesicht wie ein kleiner Junge hatte, ging nach draußen, um den Futtereimer zu holen. Die Hühner gaben Töne von sich, als stünde das Ende der Welt kurz bevor und sie müssten es den Menschen unbedingt sagen, nur verstand niemand ihr Gekrächze.

 

Abends lag der Mann mit dem Rücken im Heu, das ihn durch sein Hemd hindurch piekste. Er starrte durch das Scheunenfenster und blickte die Sterne an. Sie gaben kein Zeichen, ob sie sich für die Welt interessierten oder ob sie ihnen völlig egal war. Vielleicht fiele jeden Moment einer auf die Erde und löschte damit alles Leben aus. Oder nur ein einziges, weil er ihm genau auf den Kopf fiele.

 

Wir verschwinden von hier, sagte sie und ihre Worte klangen ehrlich, ehrlich und wahrhaftig, zumindest stellte er sich so Worte vor, die ehrlich und wahrhaftig klängen. Wir packen unsere Sachen und verschwinden, mitten in der Nacht und wenn er morgens aufwacht, sind wir schon längst über zehn Berge und elf Bahngleise verschwunden, sagte sie. Der Mann, der noch ein Gesicht wie ein kleiner Junge hatte, sah sie an und sein Gesicht wurde zu einer Grimasse, da er lächeln wollte, sein Kopf jedoch Sorgen über sein Gesicht laufen ließ. Aber er ist dein Vater. Und ich arbeite für ihn. Und ich habe Angst vor ihm. Sie sahen sich an, sahen sich an, wie er glaubte, wie man sich ansehen sollte, wenn man verliebt ist. Ihre lockigen, blonden Haare umrahmten ihr Gesicht wie ein schönes Gemälde, nur dass es aus Fleisch und Blut und warm und weich war und nicht nur kalte Ölfarbe auf einem Leinenuntergrund. Ich habe auch Angst vor ihm, sagte sie. Ich habe dir ja erzählt, was er mit mir gemacht hat. Und der Mann, der stark und groß war, aber noch ein Gesicht wie ein kleiner Junge hatte, nickte und er wurde wütend und bekam noch mehr Angst.

 

Seine Wange brannte noch immer von dem Schlag, den er ihm versetzt hatte, weil er den Milcheimer umgestoßen hatte. In seinem Kopf flogen die Gedanken umher und prallten aneinander wie Glühwürmchen, deren Hinterteile aufgehört hatten zu leuchten. Seine schwieligen Hände umklammerten so fest die Heugabel, dass es ihn schmerzte. Er hatte Angst vor ihm, aber er wusste, dass sie von hier fort mussten. Er hatte ihr wehgetan und er hatte ihm wehgetan. Sie mussten von hier fort.

 

Heute Nacht, sagte er und sie sah ihn mit großen Augen an. Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und ihr blondes Haar kitzelte seinen Hals. Ich will für immer mit dir zusammen sein, sagte sie. Die Worte taten ihm weh, weil sie ihn so glücklich machten. Ich will auch für immer mit dir zusammen sein, sagte er. Aber ich bin doch niemand. Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände. Niemand ist niemand. Nicht einmal er. Aber er ist ein schlechter Mensch und du nicht. Ich will für immer in deinen Armen liegen und für immer deinen Atem spüren und wenn das Ende der Welt kommt, dann soll es kommen, es kann uns nichts anhaben. Er nahm ihren Kopf und legte ihn wieder an seine Schulter, weil er wollte, dass ihre Haare noch einmal seinen Hals kitzelten.

 

Die Nacht war so dunkel wie das Schwarze in den Augen der Schafe. Er wartete unten auf sie und als sie kam, knarrten und ächzten die Treppenstufen so laut wie das Heulen der Kojoten. Er nahm sie bei der Hand, vielleicht nahm auch sie ihn bei der Hand und dann wollten sie gehen. Dabei stieß er mit dem Fuß an einen kleinen Tisch und eine Vase zersprang auf dem Boden, lauter als der alte Traktor in der Scheune. Dann hörten sie ihn und dann stand er vor ihnen und starrte sie beide an wie ein hungriger Wolf. Was zum Teufel habt ihr vor, fragte er und stürmte auf sie zu. Der Mann, der noch ein Gesicht wie ein kleiner Junge hatte, nahm eine der Scherben auf dem Boden und schlitzte ihm den Hals auf. Das Blut sah im dunklen aus wie Wasser.

 

Als die Sonne aufging, saßen sie auf einem ratternden Güterwaggon. Ihr Kopf lehnte an seiner Schulter und ihre Haare kitzelten seinen Hals. Die Schienen unter ihnen kreischten und schrien, aber sie schlief weiter. Seine Augen waren halb geöffnet und er sah die Landschaft an sich vorbeiziehen. Er war kein Niemand mehr. Er war mit einer Frau auf der Flucht. Und er hatte einen Mann getötet.

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