Politische Kotze
Ich bin also auf dieser WG-Party. Und während der DJ gerade eine Banane isst und einige Leute auf der Wohnzimmertanzfläche zu einem Song von Elvis herumkaspern, sehe ich meine Kommilitonin, deren lippliche Berührung ich mir im Laufe dieses Abends erhofft habe, ihre Lippen gegen die eines Typen in Muskelshirt drücken.
Also setze ich mich wohl oder übel auf das durchgesessene Sofa, dessen Polster durchhängen, als wäre die Nacht schon vorbei. Ich setze mein Bier an und die Dose ist viel zu schnell leer. Und da gerade niemand in der Nähe ist, mit dem ich mich unterhalten will oder kann, hole ich mein Handy aus der Hosentasche. Ich hasse Leute, die ständig auf ihr Handy starren, ich bin also in diesem Moment zu einer Person geworden, die ich hasse, das kann nicht gut sein, denke ich, man sollte sich selbst lieben, zumindest mögen, das muss schon drin sein, sich selbst hassen, das führt zu nichts, steht schon in der Bibel, glaub ich, die hab ich zwar nicht ganz gelesen, aber das steht glaub ich drin und macht auch irgendwie Sinn, immerhin ein klein wenig Sinn in diesem riesigen kakophonischen Universum, das ständig Gefahr läuft, sich selbst aufzufressen.
Ich schaue in meinem Emailpostfach nach. Eine Null schreit mir schadenfroh entgegen. Auf der Startseite meines Anbieters steht die brandaktuelle Nachricht, dass Terroristen vor weniger als einer Stunde das Büro einer Zeitung in die Luft gesprengt haben. Ein unmenschlicher Anschlag auf die Pressefreiheit, deren Verantwortlichen noch nicht bekannt seien. Man vermute einen islamistischen Hintergrund.
Klar, denke ich, die müssen’s sein. Wer auch sonst. Sucht euch doch mal einen neuen Sündenbock. Vielleicht war’s auch Greenpeace, denen hab ich noch nie getraut. Oder eine Gruppe, die für weniger Zucker in Cornflakes eintritt. IS, schon scheiße und so. Aber das sind ja nicht alle.
Denkt doch mal ein bisschen nach, denke ich. Sonst versinken wir noch alle in seelischer Dunkelheit. Ich glaube, das ist sowieso das Problem in der heutigen Zeit. Entweder wird zu wenig oder zuviel nachgedacht. Dazwischen scheint es nichts zu geben.
Vor mir läuft ein Typ mit einem Nudelsieb auf dem Kopf vorbei.
In der Kloschlange unterhalten sich vor mir zwei Frauen über ihre letzte Klausur und dass ihr Prof ja schon mehr so ’n Wichser wäre, den man lieber mal steinigen sollte. Mein Kopf, der mehr ein umgeworfenes Regal zu sein scheint, warnt mich davor, mich verbal einzumischen. Manchmal laufen die Worte, die aus meinem Mund klettern, Amok. Also höre ich auf meinen Kopf. Geht mich ja auch nichts an.
Als ich dann hinter mir die Badezimmertür abschließe und mich vor die Kloschüssel stelle und einen sauberen Strahl die physikalischen Gesetze erproben lasse, blicke ich in die Badewanne. Dort schwimmen: Etwa drei Dutzend Bierdosen, zwei Flaschen Wodka, eine Flasche Gin. Außerdem: Eine Gummiente mit Augenklappe, Goethes Faust. Der Tragödie Zweiter Teil und ein Kondom.
Wieder auf der Tanzfläche bewege ich mich zu guter Rock’n Roll-Musik aus den Fünfzigern, immerhin etwas Gutes. An mir vorbei läuft eine junge Frau, die vier Bierdosen an ihre netten Brüste presst. Auf ihrem Kopf: Das Nudelsieb.
Ich sehe mir die Leute an und mache mir Gedanken über die aktuelle Mode. Die bereitet mir nämlich Sorgen. Aber wie meine Großmutter immer vor dem Abendessen zu diesem unauffindbaren göttlichen Etwas sprach: Gib mir die Kraft hinzunehmen, was ich nicht ändern kann. Ich mochte meine Großmutter.
Das letzte wenige Licht wird ausgeschaltet und mehrere Leute schreien „Schwarzlichtparty!“, begeistert, euphorisch beinahe. Einige Feiernde fangen an, sich mit Farbe anzumalen, die im Schwarzlicht leuchtet. Als ob das helfen würde. Auch ich lasse mir von einem Mädchen, deren gespenstisch strahlende Zähne mich anfallen wollen, einen Anker auf den Unterarm malen. Was soll’s. Was dich nicht umbringt, macht dich härter. Oder zumindest betrunkener. Ich trinke eine Runde Kurze mit ein paar Leuten.
Der DJ wechselt, mit ihm die Musik, leider nicht zu ihrem Vorteil. Es erfolgen Tonfolgen, deren Zusammensetzung ich nicht nachvollziehen kann. Ich versuche meinen Körper zu überreden, sich zu der schlechten Musik zu bewegen. Er weigert sich und das Ergebnis, vermute ich, kann nicht für mich sprechen. Eine Frau neben mir macht konfuse Bewegungen mit ihrer linken Hand in der Luft. Als sei sie bekifft und würde ein noch bekiffteres Orchester dirigieren. Ich bin in Versuchung sie zu filmen und dann an „Ups, die Pannenshow“ zu schicken.
An einer Wand entdecke ich das hingekritzelte Wort „yolo“. Super, denke ich, erzähl das mal einem Hindu.
Auf dem Weg in die Küche kommt mir das Nudelsieb entgegen, darin ein dahinvegetierender schlapper Berg Nudeln. Ich mache bei einem Trinkspiel mit und unterhalte mich danach mit einer hübschen Frau über die Philosophie von Sartre. Vielleicht hätte ich es besser andersherum machen sollen.
Pegida habe ja schon irgendwo auch recht, höre ich irgendjemanden irgendwo sagen.
Mir wird kurz sehr schlecht, ich weiß nicht, ob es vom Alkohol kommt. Aber ich muss nicht kotzen. Dafür torkelt ein Typ an mir vorbei, grünes Gesicht. Er öffnet ein Fenster und kotzt nach draußen. Er hat das Fliegengitter davor nicht gesehen.
Ich beschließe nach Hause zu gehen. Eine Dose Bier und einen Kurzen später, stehe ich etwas unbeholfen im Treppenhaus und drücke zweimal auf die Klingel, ehe ich das Licht finde. Warum ist das Licht auch so schwer zu finden, denke ich, Licht sollte leichter zugänglich sein, vertreibe die Finsternis, hat doch schon Bob Marley gesungen, glaube ich, das sollten sich manche Leute mal vornehmen, einfach ein bisschen heller sein.
Ich starre auf die Glühbirne über mir. Dieses schwache Licht, an dem unsere letzte Hoffnung hängt, ehe der ganze Planet in Dunkelheit verloren zu gehen droht.
Im Treppenhaus liegt das Nudelsieb.